Fünf Sexarbeitende verbringen ein Wochenende in einem beschaulichen hessischen Dorf. Die Sonne scheint, der aufblasbare Whirlpool ist warm, die Gläser gefüllt. Was da wohl alles passiert?
Wenn Du nun wilde Orgien und hedonistische Ausschweifungen im Kopf hast, muss ich Dich enttäuschen. Denn wir fünf trafen uns, um zu arbeiten – am Herzstück unserer gemeinsamen Vision: Supportive Sexwork.
Was ist Supportive Sexwork?
Unser Kollektiv versteht sich als eine Sammlung an Menschen, die den Schulterschluss aus Sexarbeit, Beratung und Bildung suchen. Wir sehen die unterstützenden Faktoren der Sexarbeit, wir wertschätzen und bestärken sie.
„Supportive Sexwork“ bedeutet übersetzt „unterstützende Sexarbeit“. Darunter fallen viele Facetten: vom Sexualtherapeuten oder Coach, der Klient*innen zu selbstbestimmter Sexualität begleitet, bis hin zu Escorts, die bewusst in heilsamen Kontakt gehen. Ein weiter Begriff, der auf den ersten Blick schwer zu greifen scheint – für mich aber gerade deshalb so kraftvoll ist.
#1: Supportive Sexwork denkt über Grenzen hinweg
Sind Menschen in Sexualtherapie oder Sexualpädagogik damit auch Sexarbeitende – im Sinne von Supportive Sexwork? Das hängt von der eigenen Bezeichnung ab.
Ich habe den Anfang bewusst provokant formuliert, um zu zeigen: Beratung, Coaching und Pädagogik können Formen von Sexarbeit sein, weil sie Sexualität mitdenken. Konventionelle Ansätze blenden diesen Aspekt oft aus.
Doch genau darin liegt so viel Potenzial! Körpertherapie hat mir persönlich viel geholfen. Doch erst, seit ich meine Sexualität mitdenke, bin ich auf einem nachhaltigen Heilungsweg. Und im Rahmen von Supportive Sexwork erlebe ich viele Menschen, für die die Aktivierung des natürlichen Bedürfnisses nach Nähe und Intimität völlig neue Welten eröffnet.
#2: Supportive Sexwork tut so verdammt gut
Ich sehe es bei den Menschen, die ich unter dem Label „Supportive Sexwork“ treffe. Und ich höre es von Kolleg*innen im Kollektiv: wie viel Heilungspotenzial in dieser Arbeit steckt.
Drei fiktive, aber realitätsnahe Beispiele:
- Laura, Ende 30, erfolgreich im Job, aber durch traumatische Erfahrungen blockiert in ihrer Sexualität. Therapie hat ihr geholfen, doch der körperliche Aspekt fehlte. In Begegnungen mit einem traumasensibel arbeitenden Escort findet sie zurück zu ihrer Lust – selbstbestimmt und wertschätzend.
- Danny, 40, hatte noch nie Sex. Er sehnt sich nach Nähe, aber Unsicherheit und fehlende Erfahrung bremsen ihn. Mit einer Escort darf er sein erstes Mal erleben, Fragen stellen, ausprobieren, spüren – und ein Stück Sicherheit gewinnen.
- Tom, verwitwet, nach zwanzig Jahren ohne Sexualität unsicher vor einem Neuanfang. Klassische sexuelle Dienstleistungen haben ihn nie angesprochen. Doch durch unterstützende Sexarbeit findet er einen Weg, wieder ins Leben zurückzukehren.
Das ist nur ein Bruchteil möglicher Szenarien. Vielleicht erkennst Du daran, wie vielfältig das Potenzial von Supportive Sexwork ist. Gesellschaftlich wird Sex oft als frivol oder hedonistisch abgetan. Ja, das darf Sex auch sein – doch Berührung und Intimität können so viel mehr bewirken für das Wohlbefinden von Menschen.
#3: Wissen ist sexy – und essenziell
Ein Teil unseres Kollektivs arbeitet in Beratung und Bildung. So waren auch Alexander Hahne, der zu Männlichkeit sowie inter* und trans* Themen forscht, und Tanja Hoyer, die von der Sexarbeit in die Sexualberatung gewechselt ist, beim Wochenende dabei.
Von ihnen zu hören, wie wenig Menschen über ihren eigenen Körper, ihre Lust und ihre Bedürfnisse wissen, hat mir erneut gezeigt: Wissen über Sexualität ist unverzichtbar.
Und ja, Wissen ist sexy! Zu spüren „Wow, wenn mich jemand so berührt, passiert etwas in mir“ – und das auch noch kommunizieren zu können – ist zutiefst sexy. Doch dafür braucht es Räume, in denen wir lernen, forschen und ausprobieren dürfen. Ob im Gespräch oder durch Berührung: auch das ist Supportive Sexwork.
#4: Unsere Vision: Eine neue Kultur von Sexualität
Was mir vom Wochenende besonders in Erinnerung bleibt: das Bewusstsein, dass wir eine gemeinsame Vision verfolgen, die jede Mühe wert ist.
„Wir streben eine Gesellschaft an, in der eine genussvolle Sexualität als natürlicher, vielfältiger und integraler Aspekt des Lebens anerkannt ist. Wir schaffen sichere Räume für offene, respektvolle und auf Konsens basierende Begegnungen, um Sexualität selbstbestimmter zu erforschen, emotionale Blockaden zu lösen und ein gesundes Verhältnis zum Körper und seinen Bedürfnissen zu entwickeln.“
Um dorthin zu gelangen, müssen wir sichtbarer werden. Bisher arbeitet jede*r von uns stark für sich, auch wenn wir als Kollektiv verbunden sind. Das soll sich ändern!
- Wir wollen wachsen und neue Menschen aufnehmen.
- Wir wollen mehr Reichweite schaffen, um das Konzept „Supportive Sexwork“ bekannt zu machen.
- Wir werden auf Instagram und YouTube aktiver sein.
- Wir werden einen monatlichen Newsletter umsetzen, in dem wir Einblicke, Denkanstöße, Workshops und Events teilen.
Doch dafür brauchen wir auch eine neue Webseite – lebendiger, klarer, funktionaler. Sie soll auf WordPress entstehen, finanziert durch Spenden.
Wenn Dich unsere Vision berührt, freuen wir uns über jede Unterstützung. Jeder Beitrag hilft!
#5: Supportive Sexwork heilt auch mich
Von außen mag es wirken, als wäre ich vollkommen im Reinen mit mir. Doch auch ich trage mein Päckchen. Nicht mehr so schwer wie in meiner Depression, aber spürbar.
Zu erleben, was ich durch Berührung in Menschen auslösen kann, hat mir in den letzten Jahren unglaublich viel zurückgegeben. Zu wissen, dass ich – mit Körper, Geist und Seele – das Leben anderer Menschen positiv verändern kann, rührt mich zutiefst. Es zeigt mir: Es gibt einen Grund, warum ich auf dieser Welt bin.
Supportive Sexwork ist mein „Warum“ – zumindest jetzt. Wohin mich meine Sexualtherapie-Ausbildung führen wird, bleibt offen. Aber ich freue mich auf den Weg. Denn eines ist klar: Supportive Sexwork heilt nicht nur andere – es heilt auch mich.
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PS: Ein Video vom Wochenende gibt’s inzwischen auch auf YouTube zu sehen:
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Alle Bilder: Ben Nordmann
Schönes Konzept, Dir vielen Dank für die Vorstellung. Das liest sich nach viel administrativen Aufwand, denke aber es könnte sich lohnen.
Gründet doch einen gemeinnützigen Verein, dann könnten auch neue Menschen aufgenommen werden. Aber es gibt wieder Administration. Spenden wäre dann auch besser möglich.