Von Zwiebeln, Vertrauen und Seelenkontakt in der Sexarbeit

Mein Gast und ich stehen in der Küche, zwischen frisch gewaschenen Utensilien und überraschend gutem Weißwein. 

„Du gibst mir ein Stück Leben und ich gebe Dir eine Zwiebel.“ 

Dieser Satz schwingt auch Tage später noch nach. Er drückt für mich so viel aus – was ich versuche, meinen Gegenübern zu geben, aber auch, was ich zurück bekomme. 

Sein Ton rückt die Zwiebel (Roscoff, wie ich mir gemerkt habe) in ein negatives Licht. Doch für mich ist sie so viel mehr. Eben auch ein “Stück Leben”.

Verletzlich hin zu Intimität

Lass mich kurz den Blick weiten. Raus aus der Küche, zurück zu anderen Begegnungen.

Ich durfte in den letzten Monaten unglaubliche Prozesse erleben und begleiten. Menschen, die mit “zu” Gedanken zu mir kamen …

Zu alt, um Sexualität noch zu genießen. 

Zu depressiv, um sich anderen zuzumuten. 

Zu traumatisiert, um selbstermächtigt Sexualität zu leben. 

Zu eingeschränkt, um einem Gegenüber Lust zu bereiten. 

Zu unerfahren, um sich zu trauen, in Kontakt zu gehen.

… die und diese Gedanken loslassen konnten. Manchmal nachhaltig, manchmal zumindest für unsere gemeinsamen Stunden. 

Diese Prozesse bedürfen unglaublich viel Vertrauen in mich als ihr Gegenüber, ihre Begleitung. 

Und den Mut, sich verletzlich zu zeigen.

Ich versuche, diesen Vertrauensraum zu schaffen – und bin manchmal echt zu Tränen gerührt, wenn ich merke, was passiert. Die intimsten Momente geschehen dabei oft, ohne dass wir uns ausziehen. 

Intimität ist so viel mehr, als sich körperlich zu berühren.

Es geht um seelische Berührung: touching the soul. 

Menschen offenbaren mir Geheimnisse, die sie noch keiner Seele anvertraut haben. Sie nehmen meine Hand, im wörtlichen und übertragenen Sinne, und trauen sich Neues. Oder auch etwas, das ihnen Angst macht. 

Sie zeigen sich mit ihren Sorgen, ihren Ängsten, ihren innersten Themen. 

Sie gewinnen ein Stück Leben zurück, im Idealfall. 

Und was bekomme ich?

Was die Zwiebel für mich bedeutet

Die offensichtliche Antwort: mein Honorar. 

Aber das deckt nur einen Bruchteil ab, was ich für mich aus diesen Begegnungen ziehe. Denn diese Transformationsprozesse meiner Gäste zu erleben, bereichert mich auf eine Art, die ich kaum in Worte fassen kann und für mich inzwischen der Hauptgrund ist, warum ich tue, was ich tue.

Ob große Schritte oder minimale Veränderungen, das ist dabei egal.

Das Bewusstsein, dass ich einem anderen Menschen auch nur in kleiner Weise auf geholfen habe, gibt mir etwas, das wir alle brauchen: Sinn. Purpose, im Englischen. Das Wissen, etwas zu tun auf dieser Welt, das sie ein Stück besser macht.  

Davon erfahre ich auf unterschiedliche Weise. 

Manche Menschen sagen es mir direkt. 

Bei anderen merke ich die Veränderung, ohne dass sie benannt wird.  

Manchmal erhalte ich etwas, das so viel ausdrückt. Etwas Handgemachtes. Tee, von dem der Mensch denkt, er könnte mir auch schmecken. Essig für meinen Essig-Fetisch. Eine Karte, die mich zum Lachen bringt – oder auch tief berührt. 

Und manchmal bringt ein Gast eine Zwiebel mit. 

Da er unglaublich gerne kocht und weiß, dass ich keinen Zugang habe, aber fasziniert bin von seiner Leidenschaft für kulinarische Genüsse. 

Da er mir damit einen Teil seiner Seele zeigt und ich Empathie gewinne für einen Bereich des Lebens, der mir – auch durch meine Essstörung – so lange verschlossen war. 

Danke dafür. An alle Menschen, die ich bereits begleiten durfte. Und alle, die ich in Zukunft noch berühren darf… körperlich und seelisch. 

Ich hoffe, ich konnte in diesen Zeilen halbwegs verständlich machen, wie viel wunderbares ich zurück bekomme in der Sexarbeit.