Von Dildo-Bädern, Bananen-Snacks und inspirierender Preisgestaltung

Wenn ich schon mal in der Nähe von Amsterdam bin, muss ich mir auch das Red Light District genauer anschauen… 

Also bin ich mit meinem Beziehungsmenschen und meiner Seelenschwester, für deren Geburtstag wir in den Niederlanden waren, losgezogen. 

Unser Plan: 

  • eine Bordell-Tour im BonTon
  • das Prostitutionsmusem “Red Light Secrets”
  • vielleicht eine Live Show im Casa Rosso
  • einfach das Viertel auf uns wirken lassen

Kann jetzt schon sagen, das war definitiv den Trip wert. Viel gesehen, noch mehr gelernt. Aber alles von Anfang an…

Tour de BonTon mit Angel

Um 14 Uhr ging’s los: Wir hatten online Tickets für die Tour de BonTon gekauft. Das Bordell macht um 21 Uhr auf, davor führen ehemalige Sexarbeiter*innen durch das Gebäude und informieren zu Sexarbeit in den Niederlanden.

Finde das Konzept super, und die Tour war sehr informativ und kurzweilig. 

Unser Guide Angel war über 20 Jahre in der Sexarbeit aktiv, unter anderem im BonTon Bordell und hatte auch zwei Tage ihres Lebens in den Fenstern verbracht. 

Die Geschichte von Sexwork (SW) in Amsterdam ist wohl sehr alt, doch erste Beweise gibt es von 1319, als erstmals Frauen erwähnt wurden, die wegen Prostitution verurteilt wurden. 

Nachdem SW in Amsterdam 1911 illegal wurde, zogen sich die Sexarbeitenden ins Private zurück und luden vor den eigenen Räumlichkeiten Laufkundschaft ein… 

Als auch Anbahnungen in der Öffentlichkeit verboten wurden, stellten sich die Damen ins Fenster ihrer Wohnzimmer und lockten sie Gäste zu sich. Daraus ergaben sich die Fenster, für die Amsterdam heute berühmt ist. 

Für mich sehr einprägsam: Amsterdam hatte Sexarbeit 1911 komplett verboten, doch stellten sie fest, dass ein Verbot viel gefährlicher war für die Sexarbeiter*innen. Deshalb erlaubten sie es 2000 wieder.

Sollte den Abolis eine Lehre sein… 

Window Workers in Amsterdam

Aktuell gibt es 352 Fenster, in denen Damen und wohl auch TS Ladies ihre Dienste anbieten. 

Gemietet wird für 6-8 Stunden, Doppelschichten sind arbeitsrechtlich nicht erlaubt. Miete ist ca. 100€ pro Tag und Türen gehen nur von innen auf. 

Die Person im Fenster entscheidet absolut selbst, wer rein darf und kann problemlos die Tür auch wieder schließen (habe ich später am Abend live erlebt).  

Preislich kosten 15 Minuten 50€, wobei der eigentlich immer männliche Gast sich entscheiden muss, ob er “suck” oder “fuck” will, also einen Blowjob oder Geschlechtsverkehr. Stellungswechsel kosten dabei extra 😉 

Angel fragte in die Runde, was denn wohl so die “durchschnittliche Verweildauer” bei Window Workers sei. Was denkst du?

Wenn du jetzt 10 Minuten gesagt hast, bist du nah dran, aber dennoch daneben. 

Es sind durchschnittlich 7 Minuten.

Wie Angel anschaulich beschrieb, gehört da auch reingehen, zahlen, Penis waschen und der eigentliche Akt dazu. Und das in 7 Minuten… eher für die Quickie-Liebhaber gedacht.

Bar im Bonton

Im Bordell BonTon

Da läuft es im Bordell ganz anders ab. Das BonTon gibt es seit 28 Jahren und wird seit 4 Jahren von der aktuellen Besitzerin geführt. 

Als Gast kommst du nur hinein, wenn dich die Security rein lässt. Betrunken oder high hast du keine Chance. Im BonTon nehmen Gäste erstmal im Empfangsraum Platz, wo zwei Stangen für Damen zum Tanzen bereitstehen. 

Nur wenn eine Dame getanzt hat, darf sie sich zu Gästen setzen. Sonst stürzen sich alle auf die neuen Männer, meinte Angel, und streiten um Aufmerksamkeit. 

Will der Gast einen Tanz, kostet es 20€ für einen Song ohne Anfassen, bei dem sie am Ende oben ohne ist, 50€ für zwei Songs mit Anfassen, mit längerer Zeit oben ohne.

Zu einem sehr teuren Drink kann der Gast dann besprechen, ob er sich mit der Dame nach oben in die Räume zurückzieht. 30 Minuten kosten 160€, eine Stunde 300€. 

Klingt viel, aber: Von den 300€/Stunde gehen 100€ an die Dame, 100€ ans Bordell, und 100€ als Steuern ans Finanzamt… 

Wir durften auch selbst durch die Räume gehen, die alle sehr sauber und hochwertig aussahen. Hier ein paar Eindrücke: 

 

Ich hab mich auch am Pole versucht, will das unbedingt bald lernen…

Das einzige Prostitutionsmuseum der Welt

Nach dem BonTon ging’s ab nach De Wallen, dem Rotlichtviertel. Dort befindet sich das erste Prostitutionsmuseum der Welt, “Red Light Secrets„.

Innen sind keine Fotos gestattet, also muss mein Wort gelten 😉

Es war echt super gemacht. Leider trotz Einlassverzögerung sehr voll und etwas oberflächlich was die geschichtlichen Infos angeht, aber das ist wohl auch dem mangelnden Platz geschuldet. 

Das Museum befindet sich in einem ehemaligen Bordell – alles ist recht eng, typisch niederländische Architektur. Wirklich toll war, dass es viele O-Töne via Audio-Guide gibt, in denen ehemalige Sexarbeitende von ihren Erfahrungen berichten. 

Eine Dame erzählt von ihren knapp 8 Jahren (oder 7) in ihrem Zimmer, während der sie rund 250.000 Gäste empfing. 

Es gab auch ein BDSM Zimmer mit sehr niederschwelligen Infos zur Szene und den Fetischen. 

Mein persönliches Highlight: Ein nachgebautes Fenster, in dem ein Video lief, das Männer zeigte, wie sie vorbeilaufen und die Person im Fenster betrachten, auf ganz unterschiedliche Weise. 

Mal schüchtern und schnell weiter gehend, mal angetrunken und laut, mal kritisch beäugend. 

Der Moment alleine hat mir gezeigt: Nein, ich wäre als Window Worker nicht glücklich. 

Der Souvenir-Shop durfte natürlich nicht fehlen. Ein Kühlschrankmagnet hat’s mir besonders angetan – er zeigt eine Window Dame mit Handy in der Hand, was wir später auch live in den Straßen sahen. 

Einige Damen hatten auch AirPods im Ohr oder Musik laufen. Stelle mir vor, dass die Zeit im Fenster schon recht langweilig werden kann, falls wenig los ist auf den Straßen. 

In den Straßen des Rotlichtviertels

Wir waren am Samstag zu Besuch und konnten am späten Nachmittag und frühen Abend recht gemütlich die Straßen erkunden. 

Ein überteuerter Sexshop reiht sich an den nächsten, dazwischen Kneipen und Imbiss-Möglichkeiten, vereinzelt ein Supermarkt/Späti. 

(Hier gab’s einen Hydration Drink, der 15€ für 500 ml kosten sollte… äh…nope. Dann lieber die Cola Zero für 4€…)

Mein Highlight: Ein Dildo-Bad, das explizit zu Fotos aufrief. Das Ergebnis will ich euch nicht vorenthalten, hehe:

Jay im Dildobad

Ab 19/20 Uhr wurde es allerdings extrem voll, sodass es echt anstrengend war, an den Kanälen entlang zu gehen. 

Live Sex Show in Amsterdam

Eine Sache stand noch auf unserer Liste – eine Sex Show. 

Online lasen wir von drei Shows, die Strip und Erotik kombinieren: dem Moulin Rouge, der Bananenbar und dem Casa Rosso. Moulin Rouge war laut Rezensionen eher eine Tourist*innen-Falle, die Bananenbar eher ein reiner Strip-Club, das Casa Rosso hatte super Bewertungen. 

Casa Rosso

Wir erwarben unsere Tickets vor 18:30 Uhr, durften also den ganzen Abend in die Hospital Bar und ins Casa Rosso. Preis pro Person: 60€, ein Drink inklusive. 

Um kurz nach 18 Uhr ging’s in der ersten Location los, wir in der zweiten Reihe mit dabei. 

Die Hospital Bar scheint mir so die “Übungsbühne” zu sein. Es gab ein paar Tanzeinlagen, die auf mich alle nicht so professionell wirken, und einmal live Sex auf der Bühne, wobei die Frau sehr unmotiviert wirkte. Das gab mir einen leicht miesen Beigeschmack bei der Show, ehrlich gesagt.  

Dafür waren die Acts im offiziellen Casa Rosso echt mega gut! Um 19 Uhr begann die erste Runde; wir waren rechtzeitig da und ergatterten wieder Plätze in der zweiten Reihe. 

Später gab es draußen eine Schlange von Wartenden. Vorwiegend Männergruppen, doch es waren auch einige Pärchen dabei und Gruppen von weiblich gelesenen Personen. 

Den Anfang machte Seline, eine Domina mit sehr toller Präsenz, die einen Freiwilligen auf der Bühne “erzog”, mit viel Humor. 

Danach folgten einige Tanzperformances, viele mit Striptease, einige befriedigten sich mit Dildos oder Vibratoren live auf der Bühne. 

Besonders einprägsam war eine Dame, die überraschenderweise ein ca. 2 Meter langes Perlenband aus ihrer Vagina zog. 

Als wirkliche Kunst empfand ich den sinnlichen Tanz einer Person mit Kerzen, wovon sie sich eine zum Abschluss einführte und in “Kerzenhaltung” verweilte, bis sich der Vorhang schloss. 

Auch hier gab es “echten Sex” auf der Bühne, was draußen in großen Buchstaben als Reklame warb. 

Die weibliche Gespielin war diesmal sehr viel enthusiastischer und die beiden Männer harmonierten mit ihr sehr. 

Fun fact: Echter Sex live auf der Bühne ist in Deutschland verboten. Peep-Shows gelten seit 1981 als sittenwidrig

Und der letzte solche Club in Deutschland war wohl das Safari in Hamburg, das 2013 seine Türen schloss.

Jay live on stage

Anyway, das Casa Rosso war alles in allem ein sehr einprägsames Erlebnis und definitiv die 60€ Eintritt wert. 

Ich hab’s sogar auf die Bühne geschafft, als eine Tänzerin drei Freiwillige suchte! 

“Don’t worry, you don’t have to lick my pussy”, versicherte sie dem vollen Saal. 

Die zwei männlich gelesenen Freiwilligen und ich durften tanzen, eine Polonaise mit ihr einlegen und dann von einer Banane beißen, die in ihr steckte. 

War echt amüsant. Und für mich ein Stück Persönlichkeitsentwicklung, denn noch vor 5 Jahren wäre ich nie selbstbewusst gewesen, um mich auf diese Bühne zu trauen… 

Rotlichtviertel vor dem Aus?

Nach dem Casa Rosso erkundeten wir noch ein bisschen das Viertel und wollten eigentlich noch in einen Stripclub, da wir alle von den Tänzer*innen sehr beeindruckt waren. 

Leider hatte sich vor dem Bananenclub inzwischen eine Schlange gebildet und wirkliche Alternativen mit weniger Wartezeit gab’s nicht… also noch ein letzter Drink und ab zurück in die Unterkunft. 

So rosig scheint die Stadt das Viertel aber nicht einzuschätzen. Auf der Rückfahrt kam mir eine Anmerkung von Angel wieder in den Sinn, dass Amsterdam die Sexarbeit wohl in eon Erotic Center außerhalb der Innenstadt verlagern wolle.

Mehr dazu hier oder hier.

Der “over-tourism”, also der übermäßige Tourismus scheint Probleme zu bereiten. Angel engagiert sich politisch und kämpft für den Erhalt des Red Light Districts, das für sie und viele aus der Community zu Amsterdam gehöre. Dort können Sexarbeitende sicher und legal ihrem Beruf nachgehen. Ein Erotic Center außerhalb würde das Stigma nur noch fördern. 

Für mich klar ein konservatives Bemühen, die oh-so schmutzige Sexarbeit aus der Stadt zu verbannen. Gibt es auch in Deutschland sehr häufig, leider. 

Umso wichtiger, dass sich aktive und ehemalige Sexarbeiter*innen engagieren, wie Angel das tut. 

Wer hier unterstützen will, kann das PIC fördern, das Prostituition Information Center.

Habe es selbst nicht mehr hin geschafft, aber es wirkt sehr hilfreich für die Community!

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