Sexarbeit ist Heilarbeit
meine Erfahrungen in der Begegnung mit Escort Jay Stark

Gastbeitrag von Paul Panther, Januar 2025

Quicklebendig, authentisch, klug und zugewandt, Jay Stark hat mich sofort beeindruckt, als ich Mitte September 2024 auf ihren YouTube-Kanal aufmerksam wurde. Und worüber sie sprach, fand ich faszinierend und hochinteressant. In kaum mehr als einer Stunde hatte ich alle älteren Videos angesehen, Likes hinterlassen und den Kanal abonniert.

Und dann die nächste Entdeckung: Jays Webseite.

Aus voyeuristischer Neugier hatte ich schon die eine oder andere Internetseite einer Sexworkerin angeschaut, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen; die Fülle der Informationen hat mich schier erschlagen und zugleich gefesselt. Ich war fast schon erschrocken, wie offen Jay auch mit den Brüchen und Krisen ihres Lebens umgeht. Besonders, was sie über die Jahre ihrer Depressionen berichtet, hat mich unmittelbar angesprochen.

In meiner Zeit als Jugendlicher in den 1970er Jahren war von Depressionen kaum die Rede. Heute weiß ich: Ich habe schon kurz nach dem Beginn der Pubertät angefangen, an Depressionen und starken Suizidgedanken zu leiden, aber es hat 20 Jahre gedauert, bis die Krankheit bei mir diagnostiziert wurde, und ich mit meiner ersten Psychotherapie begann.

Heute – dreißig Jahre, zwei weitere Therapien, einen Burnout und eine Frühpensionierung später – leide ich noch immer an Depressionen und habe manchmal auch Suizidgedanken. Und ich leide zunehmend daran, dass die erotische Beziehung mit meiner Frau – eine in den ersten Jahren unseres Zusammenseins durchaus wilde und vielfältige Sexualität – nicht wieder erwachen will. Meine Geliebte auf Lebenszeit leidet ebenfalls an schweren Depressionen. Sie wurde als Kind und Jugendliche komplex traumatisiert, und ich selbst habe wegen meiner Erkrankung und der Antidepressiva eine erektile Dysfunktion. 

Entscheidung zum Treffen

Noch vor drei Wochen hätte ich das alles niemals in solcher Offenheit aufschreiben können, weder für mich selbst noch gar in einem öffentlich einsehbaren Text. Zwei Dinge waren für diese Entwicklung entscheiden: zum einen die Authentizität und die extreme Offenheit, mit der Jay Stark von sich selbst erzählt, und zum anderen die Tatsache, dass sie nicht nur behauptet, andere Menschen weder auf Grund ihres Äußeren noch auf Grund ihrer Psyche zu bewerten, sondern, dass sie sich tatsächlich auch so verhält: freundlich und wertschätzend. Dadurch hat Jay einen Raum des Vertrauens geschaffen, in den ich erst einmal allein eintreten konnte, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. 

Die gelegentlichen Emails zwischen uns, Jays Antworten zu den Kommentaren unter den YouTube Videos, die Videos selbst, der wöchentliche Newsletter, ihr Blog auf der Website, all das hat diesen Raum des Vertrauens immer weiter stabilisiert und erweitert. 

Ende Oktober fasste ich mir dann ein Herz und bat Jay um ein Treffen – ich, der ich bisher in meinem Leben mit genau zwei Frauen geschlafen habe, ich mit meiner erektilen Dysfunktion und meinem Übergewicht. Ich habe Jay einfach geglaubt, was sie immer wieder betont: Sie kann mit beiden Makeln einfach professionell umgehen, ohne zu bewerten, ohne Leistungsdruck zu erzeugen, eben wertschätzend und menschenfreundlich.

Nach der Verabredung unseres Treffens für kurz vor Weihnachten brach in mir für sieben Wochen die Hölle los. Ich habe niemals im Leben einen derartigen Stress erlebt, nicht einmal bei der anderthalbjährigen Vorbereitung auf das erste juristische Staatsexamen. Ich wurde in einen Strudel der Gefühle und Gedanken gerissen, in eine Auseinandersetzung mit mir selbst, wie ich sie in keiner meiner drei Psychotherapien und auch nicht in den zwei Monaten Klinikaufenthalt erlebt habe.

Und schließlich habe ich einen entscheidenden Grund für meine Depressionen und meinen Unwillen mir selbst gegenüber gefunden: Ich bestehe aus drei Babuschkas. Die äußere ist die Fassade – höflich, immer gut gelaunt, witzig, intelligent, freundlich, Kompromisse suchend, für den Frieden unter den Menschen um mich herum verantwortlich und für ihre gute Laune, zugewandt, aufmerksam usw. Aber in dieser äußeren steckt eine Babuschka, die einfach immer – 24/7/365 – nur Angst hat, vor allem die Angst davor, dass die anderen darauf kommen, dass die Fassade eben nur eine Fassade ist und dass überhaupt nichts davon stimmt. 

Diese ständige Anstrengung zermürbt diese zweite Babuschka und raubt ihr einen großen Teil ihrer Lebensenergie, der mir dann an anderer Stelle fehlt. Nun ist diese Struktur bei einem Depressionskranken nicht besonders außergewöhnlich und überraschend. 

Entscheidende Erkenntnis

Aber in meinen Selbstgesprächen, meinen fiktiven Gesprächen mit Jay und unseren E-Mails, in denen ich sie vor meiner Unattraktivität gewarnt habe, habe ich plötzlich entdeckt, dass es da seit dem Beginn der Pubertät noch eine weitere Babuschka in meiner Seele gibt.

Diese innerste Babuschka ist ein absoluter sex maniac – polyamor, nur an einer offenen Beziehung interessiert, risikofreudig und experimentierbereit. In den ersten Jahren der Beziehung mit meiner zweiten und jetzigen Frau hatte dieser sex maniac tatsächlich immer wieder mal eine Weile Hofgang, Sonnenlicht und frische Luft, auch wenn die Gefängnismauern weiterhin unüberwindbar waren.

Die zweite, die Kontrollbabuschka, braucht – nein: brauchte! – also Lebensenergie für den Kampf in zwei Richtungen: die Fassade nach außen hin aufrechterhalten und die dritte und innerste Babuschka unter absoluter Kontrolle zu halben, sie auf keinen Fall sichtbar werden zu lassen.

Das mit der Fassade werde ich wohl niemals loswerden, das hat durch meine Rolle im Schlachtfeld unserer Familie quasi schon im Kreißsaal begonnen. Aber dass ich nun nicht mehr diese innerste Babuschka – und sex maniacs haben ziemlich viel Kraft! – mit größter Anstrengung unterdrücken muss, kann ich sogar messbar feststellen. Es war für mich erst einmal schier unglaublich, mit welcher Ausdauer und Energie ich jetzt die Hausarbeit erledige, wie offen ich plötzlich mit Freundinnen und Freunden über meine Sexualität sprechen kann. Und ich habe es jetzt sogar geschafft, den Gesprächsfaden mit meiner Frau über unsere erotische Beziehung neu zu knüpfen.

Unsere Begegnung

Ich hatte Jay gebeten, sich für drei Stunden mit zu treffen und davon die erste Stunde erst einmal in einem Café zu verbringen, so dass wir uns in Ruhe etwas kennenlernen konnten. Bei diesem Gespräch hat sich genau das bewahrheitet, was aus Jays Veröffentlichungen kannte: eine wertschätzende Zugewandtheit ohne jede Bewertung, und zwar auch ohne Widerspruch zu meiner Selbstvorstellung in den Emails. Sie hat zum Beispiel eben gerade nicht gesagt, dass ich nun aber wirklich nicht derart unattraktiv bin, wie ich behauptet habe. Denn solche Äußerungen sind ja ebenfalls Bewertungen, nur halt positive.

Die zwei Stunden in der Location sind für mich wie im Fluge vergangen. Nach sechzehn Jahren Hunger auf nackte Haut konnte ich mich endlich – anfangs wohl etwas zu stürmisch – satt essen und fühlen. Eine Erektion und einen Orgasmus hatte ich nicht, aber damit hatte ich ja gerechnet, und Jay ist so wunderbar mit mir umgegangen, dass das ein nettes Sahnehäubchen gewesen wäre, mehr aber auch nicht. Ich fühlte mich einfach mit Leib und Seele rückhaltlos akzeptiert, und das war die Grundlage für eine wirklich heilsame
Begegnung.

Paul Panther im Januar 2025

PS: Ich gehöre zu den 5% unter Jays Kundschaft, die mit ihrer Frau vorab über das Treffen und auch über die wichtige Einzelheiten gesprochen haben. Das war mir wichtig.

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Veröffentlicht unter Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE: Namensnennung des Autors Paul Panther, keine kommerzielle Nutzung, keine Bearbeitungen

Beitragsbild von Igor Starkov via Pexels

3 Comments

  1. Christoph 19. Januar 2025 at 11:11 - Reply

    Dir vielen Dank für diesen hoch emotionalen Beitrag. Sehr offen geschrieben, so etwas schätze ich. Und alle Aussagen für mich 100% nachvollziehbar. Wünsche Dir zukünftig alles Gute, habe große Wertschätzung für Deinen Beitrag.

    • Paul Panther 20. Januar 2025 at 15:49 - Reply

      Hab Dir eben geantwortet, aber dummerweise nicht als Antwort auf Deinen Kommentar, sondern als eigenen Kommentar.

  2. Paul Panther 20. Januar 2025 at 15:45 - Reply

    Ich danke Dir, Christoph, für diese tolle Rückmeldung, das hat mich wahnsinnig gefreut! Es tut mir sehr, sehr gut, zu merken, daß da draußen jemand ist, der das nachvollziehen und vielleicht sogar ein wenig nachempfinden kann, was ich in diesem Text von mir offenbart habe. DANKE!

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