Ende November öffnete ich einem dreiköpfigen Filmteam vom SWR die Tür zu meinem Berliner Atelier: Redakteurin, Kameramensch und Ton-Profi. Über drei Stunden Dreh für einen Beitrag, der circa vier Minuten gehen soll.
Meistens sehen wir bei solchen Projekten nur den fertigen Beitrag. Deshalb hier ein kurzer Blick hinter die Kulissen.
Von Telefonat zum 18-Stunden-Tag
Die Anfrage der Journalistin erreichte mich über Twitter (äh, X). Es gehe um die Debatte zum Sexkaufverbot und sie möchte auch gerne mit Sexarbeitenden sprechen, die gegen ein Verbot sind und freiwillig arbeiten.
Für sowas bin ich immer zu begeistern, wenn ich merke, dass wirkliches Interesse besteht und es um authentische Berichterstattung geht. In diesem Fall wurde aus einem kurzen Telefonat ein Gespräch von einer Stunde mit der Journalistin, der ich – so spiegelte sie es mir – tatsächlich neue Perspektiven aufzeigen konnte.
“Hast Du Zeit, zu uns zu kommen für ein Live-Interview vor der Kamera?” fragte sie.
Sie durfte nämlich einen Videobeitrag für den SWR erstellen. Gezeigt würde er in der folgenden Woche am Donnerstag in “Zur Sache”, einer Sendung mit Diskussionsrunde.
Ein Besuch in Stuttgart war mir leider nicht möglich, also einigten wir uns auf ein Interview per Video-Konferenz.
Doch dann am Freitag die Überraschung:
“Die Redaktion war so begeistert von dem, was Du erzählt hast, dass ich zu Dir nach Berlin kommen darf!”
Davon bin ich immer noch geflasht. Auch von dem Einsatz der Journalistin, die dann Ende November um 5 Uhr morgens in die Bahn stieg, um ja pünktlich bei mir anzukommen, nur um abends wieder zurück zu reisen (und dann um 2 Uhr morgens in Stuttgart war).
Glücklicherweise stammten das Kamera- und Ton-Team aus Berlin!
“Darf ich Dich verkabeln?”
Nach kurzem Kennenlernen und Getränkeangebot ging’s mir dann gleich an die Wäsche. Für optimalen Ton bekam ich ein Ansteckmikrofon, während der Kameramann schaute, wie er mich am Schreibtisch filmen kann.
Es sollten meine beiden Seiten deutlich werden: Jay, die Marketing Person und Jay, Escort.
Dann ging’s auch schon los!
Bei den ersten Fragen brauche ich leider immer etwas, bis ich warm werde. Somit bin ich mit meinen Antworten nicht ganz zufrieden, doch vor allem, als wir dann in mein Atelier wechselten, hatte ich Fahrt aufgenommen.
Und wir hatten Zeitdruck: Ich hatte nämlich schon ein Date vereinbart, bevor die Anfrage des SWR kam. Wir drehten also, bis der Gast kam. Das Team machte Pause in meiner Wohnung und kehrte dann zurück, sobald ich mich frisch gemacht hatte und mein Gast weg war.
Als die Journalistin das vorschlug, war ich zwiegespalten:
- So direkt vor und nach der Session, das hat schon etwas Reißerisches.
- Andererseits kann ich dadurch eine ein authentische Perspektive zum Thema Sexarbeit beisteuern, und zwar im Girlfriend-Bereich, was selten gezeigt wird.
Dennoch war ich mir meiner verwuschelten Haare und meiner immer noch leicht kuss-roten Haut sehr bewusst, als ich auf dem Bett saß und weitere Fragen beantwortete.
Was kommt am Ende rein?
… oder eher raus? Wir sprachen über viele Themen: Mein Weg in die Sexarbeit, wie ich den Beruf erlebe, warum er mich erfüllt.
Es wurde aber auch provokativ – auf eine mich immer noch wertschätzende Art. Fragen waren zum Beispiel:
- Wenn es Dich so erfüllt, Menschen durch sinnliche Zeit zu helfen, warum nimmst Du dann Geld dafür? (und hast nicht gratis Sex, quasi)
- Wie kannst Du alleine in Deiner Wohnung sicher arbeiten?
- Musstest Du schon einmal ein Treffen abbrechen?
- Hast Du schon einmal Gewalt erfahren?
Mich am meisten beschäftigt noch eine Frage: Wie wir als kleiner Berufsverband mit ca 850 Mitgliedern denn für alle Sexarbeitende in Deutschland einsetzen können, vor allem da wir hauptsächlich aus sehr privilegierten Sexarbeitenden bestehen?
Über einige dieser Fragen werde ich noch gesondert etwas schreiben.
Was schlussendlich aus dem Material wird, liegt nicht in meiner Hand. Ich habe ein positives Gefühl und erwarte einen mir wohl gewonnenen Schnitt – bedeutet, dass mir nicht das Wort im Mund verdreht wird und Momente aus den Interviews gewählt werden, die meiner Mission dienlich sind.
Das kann aber auch “nach hinten los gehen”… oder gewisse Aussagen können auf Kritik stoßen. Das Risiko gehe ich ein. Das Potential dieses Interviews ist definitiv größer als die Gefahr, dass mir daraus ein Strick gedreht wird.
Der fertige Bericht live im TV
Gerade lief der Beitrag, eingebettet in eine ganze Sendung zum Thema. In 45 Minuten ist wenig Zeit, um drei Beiträge und auch noch eine Debatte mit drei Teilnehmenden zu führen, aber sie haben es versucht.
Ich habe ein bisschen live gepostet, wie ich die Sendung wahrnehme, nachzulesen hier auf meinem Twitter.
Den Link zur Sendung findest Du hier.
Mein Segment beginnt ab 23:43 Min, doch empfehle ich wirklich den gesamten Bericht anzusehen, da ich dramaturgisch ein Gegenpol bin und dadurch eher einseitig dargestellt werde. Von meinen differenzierten Betrachtungen ist nur kurz etwas erwähnt.
Mich selbst im Fernsehen zu sehen ist immer noch seltsam, aber ich fühlte mich mit dem gezeigten wohl (auch wenn mir manche Einstellungen zu total waren).
Inhaltlich wurde leider sehr stark gekürzt und editiert, der Fokus eher auf den Gastbesuch gelenkt und dafür viel Politisches ausgespart.
Mir wichtig hervorzuheben:
Ja, es gibt Menschenhandel und Ausbeutung.
Ja, es gibt Zuhälterei.
Ja, es gibt Kunden, die von “Frischfleisch” reden und die sehr respektlos mit den Sexarbeitenden umgehen.
Aber ein Verbot würde das noch schlimmer machen.
In Ländern wie Frankreich, in denen bereits ein Sexkaufverbot existiert, hat es nachweislich zu mehr Gewalt geführt.
Doch das blenden die Befürwortenden aus.
Was nun?
Wenn Du das liest und helfen möchtest, das Sexkaufverbot zu verhindern, unterstützte die Spendenaktion des Berufsverbandes. Wir setzen uns für sichere Arbeitsbedingungen für ALLE Sexarbeitenden in Deutschland ein und brauchen Geld für politische Arbeit.
Vielen Dank, Jay! Ich finde, du hast das richtig toll gemacht. Und der Beitrag ist auch ganz ordentlich geworden – am Ende haben wir ja bei Formaten, die so massiv zusammengekürzt werden, kaum einen Einfluss auf den Inhalt. Je nachdem, wie was sie darstellen wollen, können die uns das Wort im Mund herum drehen (und das muss nicht mal die Person machen, mit der wir sprechen, sondern kann völlig unabhängig davon anschließend in der Redaktion passieren, weshalb auch die Intuition bezüglich des Gegenübers nicht immer hilft). Das ist zum Glück nicht die Regel, und auch in diesem Fall ist es gut gelaufen.
Und den Spendenaufruf für den BesD kann ich nur unterschreiben!
Danke dir ganz herzlich! Ich bin echt froh, dass ich mitgemacht habe. Es hätte schlimmer kommen können – ich hab mich ein, zweimal nicht so ideal ausgedrückt, aber diese Einstellungen haben sie glücklicherweise nicht verwendet.